Enigmatische Bauten der Eisenzeit in Schottlands Norden – waren massive „Brochs“ tatsächlich Wachtburgen gegen feindliche Seefahrer?

© Anita Soós

Der Broch von Mousa auf Shetland / © Otter – Wikimedia Commons
Der Broch von Mousa auf Shetland / © Otter – Wikimedia Commons

Seit Jahrzehnten rätseln Archäologen über den wahren Charakter der sogenannten „Brochs“, einer Art von bis heute oft sehr gut erhaltenen, massiven Gebäuden, welche exklusiv im Norden bis Nordwesten Schottlands von etwa 200 v. Chr. bis etwa 200 n. Chr. entstanden sein dürften.

 

Der Name selbst deutet auf einen Verteidigungscharakter hin – er leitet sich vom nordischen Wort „borg“ ab, das Fort bedeutet und vermutlich der Begriff war, den die Wikinger bei erstmaligem Erblicken den runden Türmen verliehen.

 

Archäologen einigten sich im späten 19. Jahrhundert auf den standardisierten Begriff „Broch“ um damit eine spezielle Gruppe von prähistorischen, runden Trockensteinbauten zu beschreiben, welche Eigenheiten wie Innentreppen und Galerien aufwiesen. Am besten repräsentiert werden diese Bauten bis heute durch jene, welche die Zeiten auf eindrucksvollste Weise überdauerten, wie z.B. Mousa auf Shetland oder Dun Carloway in Lewis.

 

 

Nur wenige andere Bauten der Urgeschichte rufen heute in uns so starke Assoziationen mit Bekanntem hervor, wie die Brochs. Ihre bedrohlichen, grauen Steinwände von mehreren Metern Mächtigkeit können in großer Zahl weit verteilt in den Küstengebieten der Highlands und den Inseln gefunden werden, wobei sie oft imposant auf zerklüfteten Klippen oder unzugänglichen Halbinseln thronen. Zumeist gehören Sie zu den am besten erhaltenen prähistorischen Bauten Europas und inspirieren jeden, der sie einmal gesehen hat, zu eigenen Interpretation über ihre einstige Funktion.

Geographische Verteilung von Brochs in Schottland / © Bubobubo2 – Wikimedia Commons
Geographische Verteilung von Brochs in Schottland / © Bubobubo2 – Wikimedia Commons
Möglicher Aufbau eines Brochs / © Yarrows Heritage Trust http://www.yarrowsheritagetrust.co.uk/thrumster_broch_excavation.html
Möglicher Aufbau eines Brochs / © Yarrows Heritage Trust http://www.yarrowsheritagetrust.co.uk/thrumster_broch_excavation.html

Aber was macht einen Broch eigentlich aus?

Ein typischer Broch dürfte zumeist zwischen fünf und dreizehn Metern über der Landschaft erhoben haben, wobei es sich um eine runde, zweistöckige Trockenstein-Struktur gehandelt haben dürfte, welche nur durch einen Eingang auf Bodenlevel betreten werden konnte.

 

Im Inneren befand sich eine „Hauptkammer“, von welcher sich kleinere Zellen, die entweder in die Wände hinein oder an diese angelehnt gebaut wurden, abzweigten. Eine gewundene Treppe aus Stein befand sich im Freiraum zwischen der äußeren und inneren Wand des Brochs und führte vermutlich hinauf zu weiteren Stockwerken.

 

Der Grund für die Doppelwandigkeit der Brochs ist in der architektonischen Expertise der eisenzeitlichen Baumeister zu suchen; die zwei parallel verlaufenden Wände hatten einen Hohlraum dazwischen und waren in gewissen Höhen mit Steinverstrebungen verbunden, wodurch sie für die notwendige Stabilität, um zusätzliche Stockwerke bauen zu können, sorgten.

 

„Um stabile Steinwände von solcher Höhe ohne Mörtel zu bauen und die Steine nur durch Spalten zu bearbeiten, brauchte es mit Sicherheit einen Baumeister mit profundem Verständnis von Belastung und Druck.“, so Dr. Raymond Lamb, ehemaliger Professor am North Highland College und jahrzehntelang einer der führenden Archäologen auf den Orkney-Inseln.

 

Auch die Baugleichheit der Brochs über so einen großen geographischen Raum hinweg deutet darauf hin, dass nur wenige, begabte Baumeister für den Bau der Brochs verantwortlich waren und – aufgrund der abnehmenden Zahl der Brochs nach Süden hin – vermutlich einen gemeinsamen Ursprung im Norden von Schottland hatten.

Rekonstruktion des täglichen Lebens in einem Broch / © Historic Scotland
Rekonstruktion des täglichen Lebens in einem Broch / © Historic Scotland

Ein weiteres enigmatisches Element von Brochs ist eine des Öfteren beobachtbare  Unterkellerung, die durch Steintreppen im Inneren erreicht werden konnte.  Zumeist wurden sie von Archäologen als profane Hausbrunnen abgetan, in jüngster Zeit mehren sich jedoch auch Interpretationen mit kultischem Charakter.

 

Diese beschriebenen Eigenschaften, vor Allem die massiven Wände und die strategisch günstig gelegenen Standorte an Küsten oder unzugänglichen Halbinseln, deuten auf einen, zumindest partiellen, aber dennoch definitiven Verteidigungscharakter der Brochs hin.

 

Komplizierter gestaltet sich jedoch das Bild, sobald man die Befunde in der Hauptkammer der Bauten betrachtet:

Diese passen nämlich eher in den Bereich des häuslichen, alltäglichen Lebens einer erweiterten, wohlhabenden Großfamilie; das Erdgeschoß besaß im Zentrum eine Feuerstelle mit einem sogenannten „Kochbecken“ aus Stein, welches in den Boden eingelassen war. Zahlreiche Reibsteine und -platten deuten ebenfalls auf fleißige Tätigkeiten in Bezug auf die Nahrungszubereitung hin. In manchen Fällen war die Hauptkammer in der Mitte auch zweigeteilt, wobei jede Hälfte ihre eigene Feuerstelle und Kochbecken besaß. Oft wurde die Hauptkammer auch radial mittels steinerner Raumteiler unterteilt. In den Hohlräumen der Wände unter den Treppen befanden sich vermutlich Lagerräume oder Wachkammern. Die häufigsten Funde umfassen eher häusliche Artefakte wie Scheren für die Schafschur, Spaten, Knochennadeln, Messer, Reibsteine, Löffel und dergleichen, aber auch Luxusimportgüter aus dem römischen Imperium.

 

Aus den Wänden herausragende Verstrebungen aus Stein lassen zumindest ein weiteres Stockwerk wahrscheinlich erscheinen. Diese nahmen vermutlich die Form von hölzernen Galerien an, die das Erdgeschoß überblickten. Vorstellbar wären Brochs allerdings auch als reine „Schalen“, welche im Inneren eine hölzerne Struktur aus Galerien mit Dach und eigenen Behausungsarealen schützen sollte. 

Äußere Verteidigungsstrukturen - Wall und Graben - des Broch of Gurness (Orkney) / © Klaus Schindl
Äußere Verteidigungsstrukturen - Wall und Graben - des Broch of Gurness (Orkney) / © Klaus Schindl

Stutzig werden lässt die Archäologen im Fundkontext der Brochs auch die auffällige Abwesenheit von Waffen oder Spuren von gewalttätigen Auseinandersetzungen.

 

Diese wären bei der Annahme, die Brochs wären systematisch entlang der Küsten platziert worden, um einen bisher umstrittenen Feind, der vom Meer kam, abzuwehren, zu erwarten gewesen.

Aber welche Feinde kämen hier überhaupt in Frage?

 

Manche Historiker vertreten die Meinung, dass es sich hierbei um Römer handeln könnte, welche mit ihrer Flotte den Norden erkundeten – beispielsweise umsegelte auch Agricola während seiner fünften Kampagne um 83 n. Chr. Schottland.

 

Wieder fehlen jedoch hierfür die archäologischen Beweise.

 

Vereinzelte Brochs weisen allerdings definitiv zusätzliche, äußerliche Verteidigungsanlagen wie Wälle und Gräben auf – es muss also zumindest bei manchen dieser Bauwerke ein defensiver Charakter angenommen werden.

Mächtige Torfschicht auf der Insel Lewis (Schottland) / © Wojsyl - Wikimedia Commons
Mächtige Torfschicht auf der Insel Lewis (Schottland) / © Wojsyl - Wikimedia Commons

Archäologen nehmen nun an, dass Brochs Ausdruck einer Phase in der Eisenzeit sind, in welcher Fehden um Land, Besitz und Status recht häufig waren.

 

Erschwert wurde das Leben während dieser Zeit sicherlich auch durch die nachgewiesene Klimaverschlechterung, welche durch Temperaturabfall und starke Niederschläge das Fortschreiten der schottischen Torfmoore begünstigte und dadurch wertvolles Ackerland oft unbrauchbar werden ließ.

 

Diese Umstände führten mit Sicherheit zu Rivalitäten unter den Stammesoberhäuptern, welche ihren Status  mit eindrucksvollen Bauten wie den Brochs – die aus mehreren Metern Höhe die restlichen Häuser in den Schatten stellten und weithin sichtbar gewesen sein mussten – hervorzuheben und eventuell auch zu verteidigen suchten. 

 

Die Errichtung eines solchen Bauwerkes erforderte zudem profundes Wissen seitens des Baumeisters und verschlang massive Mengen an Ressourcen und Arbeitskraft – ein Hinweis auf die tatsächliche Macht und den Einfluss des Auftraggebers.

 

Das sogenannte "Shamrock House" wurde direkt in die Ruinen des Broch of Gurness (Orkney) hineingebaut / © Klaus Schindl
Das sogenannte "Shamrock House" wurde direkt in die Ruinen des Broch of Gurness (Orkney) hineingebaut / © Klaus Schindl

Tatsächlich ist die Antwort nach der Funktion von Brochs also vermutlich eine geteilte: Während der defensive Charakter nicht ganz geleugnet werden kann, dürften Brochs im Allgemeinen als beeindruckende Wohntürme repräsentative Zwecke für ihren Besitzer erfüllt haben.

 

Nach einer gewissen Zeit dürften sich allerdings erhebliche Änderungen in der Gesellschaftsstruktur im Norden Schottlands abgezeichnet haben; in der Zeit nach 200 n. Chr. werden die Brochs langsam verlassen, ihre Steinwände oft als Baumaterial für die ärmlichen Wohnhäuser verwendet, welche in die Ruinen der äußeren Verteidigungsanlagen hineingebaut wurden. Oftmals kommt es allerdings auch zu einer neuerlichen Nutzung und Restaurierung Jahrhunderte später.

 

Was also geschah mit dieser glorreichen Elite, welche sich in der schottischen Eisenzeit so eifrig zu repräsentieren suchte? Könnte es etwas mit einer neuen Piktischen Oberschicht zu tun haben?

 

 

 

Dies bleibt eine weitere, spannende Frage für zukünftige archäologische Forschung. 


Quellen: 

  • I. Armit 2012, Towers in the North. The Brochs of Scotland
  • E.W. Mackie 2002, The roundhouses, brochs and wheelhouses of Atlantic Scotland c. 700 BC - AD 500: architecture and material culture. Part 1: the Orkney and Shetland Isles

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