Jenseits und Diesseits - ein Reisebericht zum urgeschichtlichen Orkney

Im Mai 2016 machten sich Reiseleiter Klaus und Anita auf, gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Archäologiebegeisterten die rauhen Orkneyinseln, welche 16 km nördlich der schottischen Westküste in der Nordsee gelegen sind, zu erkunden.

Abbildung: Unsere Gruppe vor den Stones of Stenness / © Klaus Schindl
Abbildung: Unsere Gruppe vor den Stones of Stenness / © Klaus Schindl

Eines gleich vorweg – die Gerüchte stimmen: es IST kalt und windig!

 

Abgesehen davon hatten wir aber sehr viel Glück, denn Regenwolken ließen sich doch nur selten blicken und der eine oder andere Sonnenbrand war dann auch dabei! 

 

An unserem ersten Tag nach der Ankunft ging es gleich los zu den Stones of Stennes, wo wir von strahlendem Sonnenschein und ausreichend Schattenplätzchen unter den gewaltigen stehenden Steinen, die gemeinsam einen der frühesten neolithischen Steinkreise in Großbritannien bilden, begrüßt wurden. Im 19. Jahrhundert dürften die schattenspendenden Steine den damaligen Grundbesitzer jedoch so geärgert haben (wer braucht schon Schatten auf den eisigen Orkneys!), dass er sich kurzerhand daran machte, sie mithilfe von Ochsen aus der Erde zu ziehen. Der sogenannte "Odin Stone" in der Nähe des Kreises wurde dabei leider zerstört.

Abbildung: Haus 8, Barnhouse settlement / © Klaus Schindl
Abbildung: Haus 8, Barnhouse settlement / © Klaus Schindl

Die zugehörige Siedlung zu den Stones of Stenness befindet sich nicht weit entfernt und ist – im Gegensatz zu Skara Brae – für Besucher frei zugänglich. Beim Betreten der Häuser sind teilweise noch die steinernen Bettkonstruktionen und sogar die berühmten Steinkommoden, die es so zahlreich auf den Orkneys gibt, zu erkennen. Neben den Grundmauern der Wohnhäuser sind dort auch zwei ganz besondere Gebäude zutage getreten: Haus 2, welches den Siedlern möglicherweise als Versammlungshaus gedient haben könnte sowie Haus 8, das errichtet wurde, nachdem die Siedlung bereits verlassen war. Letztere wird heute von Archäologen überwiegend als religiöse Struktur gedeutet: In einer der Ecken wurde sogar ein, im Lehmboden deponiertes, Tongefäß mit 14 Flintknollen gefunden – für die orkadische Steinzeit ein wahrer Schatzhort, da der hochwertige Rohstoff über weite Strecken importiert werden musste. Außerdem wies das Gebäude einige räumliche Ähnlichkeiten mit den benachbarten Stones of Stenness auf, wobei denkbar wäre, dass diese Struktur nach dem Ende der Nutzung des Steinkreises, zu einer Zeit, in der sich die religiösen Praktiken offenbar änderten, stattdessen für das Abhalten von verschiedenen Zeremonien genutzt wurde.

 

Abbildung: Archäologe Nick Card erzählt über die neolithische Zermonialstätte Ness of Brodgar, Grabungsfläche im Hintergrund / © Anita Soós
Abbildung: Archäologe Nick Card erzählt über die neolithische Zermonialstätte Ness of Brodgar, Grabungsfläche im Hintergrund / © Anita Soós

Im Anschluss wartete gleich ein wichtiger Termin auf uns – ein Treffen mit dem Archäologen Nick Card – der seit einigen Jahren die Grabung am Ness of Brodgar, einer bisher 2,5 ha großen, neolithischen Versammlungs- und Zeremonialstätte, leitet. Die Ausgrabung befindet sich nur 5 Gehminuten von den Stones of Stenness entfernt, auf einer Landbrücke zwischen dem Loch of Harray und dem Loch of Stenness und war zum Zeitpunkt unseres Besuches noch blickdicht mit Gummireifen und Planen abgedeckt – in knapp sechs Wochen – so erklärte uns Nick Card – werden sich dutzende Archäologen auf dem Areal tummeln und sich darum reißen, an den interessantesten Stellen arbeiten zu dürfen (unter anderem wurde hier eine Struktur entdeckt, welche von Nick Card liebevoll und verschwörerisch als „Kathedrale der Steinzeit" bezeichnet wird). Während der exklusiven Führung durch den Grabungsleiter bildete sich vor unserem inneren Auge das Bild eines vor 5000 Jahren stark belebten Ortes, an welchem sich die Bewohner der Inseln mehrmals im Jahr trafen, um rauschende Feste zu feiern, Ideen (und vielleicht Ehepartner) auszutauschen und regen Handel zu betreiben. Neueste Grabungsergebnisse deuten allerdings auch darauf hin, dass Ness of Brodgar über die Grenzen der Orkneys bekannt war und möglicherweise einen ähnlichen Status wie Stonehenge innegehabt haben könnte – unter vorgehaltener Hand hört man auch immer wieder von heimischen Archäologen, dass Stonehenge sowieso eine orkadische Erfindung gewesen sei …

Abbdildung: Kurt Frank, Obmann der ARGE Archäologie ist begeistert von den 5000 Jahre alten Ritzverzierungen / © Klaus Schindl
Abbdildung: Kurt Frank, Obmann der ARGE Archäologie ist begeistert von den 5000 Jahre alten Ritzverzierungen / © Klaus Schindl

Nach der Außenbesichtigung wurden wir noch in die geheime Kammer entführt, in welcher einige der interessantesten Funde der Grabung gelagert werden – z.B. eine Steinplatte mit jahrtausendealten Ritzverzierungen. Weil wir so brave Zuhörer waren, bekommen wir sogar Repliken der mysteriösen Carved Stone Balls, die hier zutage kamen und von deren Art es in Nordschottland über 400 verschiedene Exemplare gibt, in die Hände.

 

Nachdem unsere Gruppe schon so richtig beeindruckt war und viele wehmütig daran zurückdachten, wie gerne sie eigentlich in ihrer Jugend Archäologen geworden wären, ließen Klaus und Anita noch die Bombe platzen: Nächstes Jahr wird es eine Kooperation zwischen der ARGE Archäologie und Nick Card geben, was es interessierten Laien ermöglichen wird, in Ness of Brodgar mitzugraben! Eine absolute Ehre - wenn man bedenkt, dass Archäologen sogar auf Urlaub zum ausgraben an diesen spannenden Fundort kommen. Nicht verwunderlich also, dass viele Plätze für die Grabungsreise bereits an Ort und Stelle vorreserviert wurden …

Abbildung: Nachbildung eines Carved Stone Balls von Ness of Brodgar / © Klaus Schindl
Abbildung: Nachbildung eines Carved Stone Balls von Ness of Brodgar / © Klaus Schindl
Abbildung: Ring of Brodgar / © Klaus Schindl
Abbildung: Ring of Brodgar / © Klaus Schindl

Nach dieser Offenbarung spazierten wir gut gelaunt zum lediglich 5 Minuten entfernten Ring of Brodgar – man erkennt bereits, Orkneys neolithische Monumente waren keineswegs isolierte Strukturen, sondern vielmehr Teil einer komplexen, sogenannten „Rituellen Landschaft“.

Der Steinkreis von Brodgar ist übrigens ein Monument, dessen Durchmesser von 104 m auch jenen von Stonehenge übersteigt – wie wir später noch oft hören würden – in Orkney ist alles älter, größer, besser und vor Allem: Anders.

 

 

Beim Mittagessen erlitten unsere österreichischen Gruppenmitglieder sodann einen herben Schicksalsschlag – auf den Orkneys gibt es kein Schnitzel!! Also dann doch Fish and Chips …

Abbildung: Skara Brae mit Blick richtung Meer / © Klaus Schindl
Abbildung: Skara Brae mit Blick richtung Meer / © Klaus Schindl

Wohlgesättigt (die Fish and Chips waren Schnitzel mit Pommes nun doch nicht unerträglich unähnlich) begaben wir uns dann zum nächsten Highlight der Reise – Skara Brae.

 

 

Hier wurde ausgeklügelte Raumplanung bereits in der Jungsteinzeit praktiziert – das Dorf wurde planmäßig auf einem Fundament aus Abfall (hauptsächlich Muschelschalen) errichtet und rundherum ebenfalls mit diesem Material umgeben, um die Bewohner gut vor der Kälte im Winter zu isolieren. Zusätzlich wurde das Muschelmaterial auch zwischen die Wände der Trockenmauerwerkhäuser deponiert und die Gänge, die die einzelnen Wohnhäuser miteinander verbanden, mit Steinplatten überdacht. Von Außen wäre die Siedlung, innerhalb von einigen Jahren komplett mit Gras überwachsen, so aus einer gewissen Entfernung nicht von den sanften Hügeln der umgebenden Landschaft unterscheidbar gewesen. Dieser Effekt war möglicherweise beabsichtigt, zumal die zwei Eingänge zur Siedlung auch von Innen mit einer Riegelkonstruktion verschlossen werden konnten – genauso auch die einzelnen Wohnhäuser.

Abbildung: Im Inneren eines rekonstruierten Wohnhauses / © Klaus Schindl
Abbildung: Im Inneren eines rekonstruierten Wohnhauses / © Klaus Schindl

Beim Besichtigen der, zum Teil noch mannshoch erhaltenen, Gebäude zeichnet sich jedenfalls ein - für die Steinzeit -doch sehr gemütliches Wohnbild ab; ein wärmendes Feuer in der Mitte des Häuschens, links und rechts davon die Betten, welche, wenn man dem damaligen Ausgräber V.G. Childe glauben mag, aufgrund der baulichen Besonderheiten sogar unseren heutigen Himmelbetten nicht unähnlich gewesen sein könnten. Direkt gegenüber dem Eingang, beleuchtet und so in Szene gesetzt, von der Feuerstelle, befand sich die steinerne „Kommode“, in welcher vielleicht Prestigeobjekte zur Schau gestellt wurden. Zahlreiche Nischen und Regale in den Wänden zeugen davon, dass die Bewohner von Skara Brae ihre Besitztümer ordentlich verstauen wollten – in den mit Lehm ausgekleideten Steinkisten wurde vermutlich sogar Fisch frisch gehalten, bzw. Napfschnecken eingeweicht, um sie besser als Fischköder verwenden zu können.

Abbildung: Typischer Aufbau eines neolithischen Hauses in Skara Brae; Feuerstelle in der Mitte, Betten links und rechts davon, gegenüber des Eingangs die "Kommode" / © Klaus Schindl
Abbildung: Typischer Aufbau eines neolithischen Hauses in Skara Brae; Feuerstelle in der Mitte, Betten links und rechts davon, gegenüber des Eingangs die "Kommode" / © Klaus Schindl

Den absoluten Gipfel der Dekadenz stellte allerdings die Entdeckung von Strukturen dar, die auf Innentoiletten hindeuten – die größeren Nischen befanden sich direkt über einer Art Kanal, der mit den meisten Häusern verbunden war und aus der Siedlung hinausführte.

 

 

Zusammenfassend kann man also sagen: Skara Brae scheint weltweit der Vorreiter in der planmäßigen Anlage von Siedlungen und Sanitäranlagen sowie – aufgrund der großen Ähnlichkeit in der Ausstattung und Ausführung der Häuser (und DAS tausende Jahre vor IKEA!) – das Zuhause einer egalitären Gesellschaft gewesen zu sein. Letzteres wurde zumindest immer gern vom Ausgräber V.G. Childe betont, was sich natürlich hervorragend mit seinen marxistischen Idealen zu decken schien. 

Abbildung: Klaus erzählt über die Zusammenhänge im Neolithikum zwischen Orkney und Südengland, im Hintergrund zieht ein Sturm heran / © Klaus Schindl
Abbildung: Klaus erzählt über die Zusammenhänge im Neolithikum zwischen Orkney und Südengland, im Hintergrund zieht ein Sturm heran / © Klaus Schindl

Die letzte Station des Tages führte uns schlussendlich noch einmal zum Ring of Brodgar (wir hatten die Strecke zwischenzeitlich schon öfter befahren, auf der Suche nach einer gewissen, verloren gegangenen Brille, die dann auf mirakulöse Art und Weise unvermutet wieder auftauchte), wo wir uns noch in der direkten Umgebung zwei rätselhafte Hügel anschauten. Einer davon könnte in der Jungsteinzeit und beginnenden Bronzezeit eine ähnliche Rolle gespielt haben, wie sie für den Silbury Hill bei Stonehenge angenommen wird ( – die Orkadier haben‘s erfunden!).

 

Die drohenden Gewitterwolken am schwarzen Himmel läuteten sodann auch schon die Zeit fürs Abendessen ein – welches wir uns ja auch redlich verdient hatten. 


 

Schon gespannt auf den zweiten Tag unserer Reise? Dann schaut doch in den nächsten Tagen wieder bei uns vorbei - das Abenteuer geht weiter ;)

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